Stiegelestour Nellingen

Stiegelestour Nellingen

.. für Alteingesessene, zugezogene Neubürger oder historisch interessierte Besucher.
 

Eine Wanderung auf bekannten und unbekannten Pfaden durch Nellingen. Die Gelegenheit, das Dorf einmal aus einer anderen Perspektive zu sehen.

Gässle und Stiegel sind kurze Querverbindungen, um schnell zu Fuß oder mit dem Fahrrad von einer Straße zur anderen zu kommen. Um 1150 gab es eine erste urkundliche Erwähnung eines Ritters Waldorf von Nellingen. Der Ort war im Besitz des Klosters Ellwangen und Lehen der Grafen von Helfenstein. Nellingen war ein befestigter Ort, es gab vier Tore, aber keine Burg oder Herrenhäuser. Das Wappentier war ein aufrecht sitzender schwarzer Bär, der auch heute noch im Gemeindewappen geführt wird. Nellingen liegt auf 694 m Höhe an der Europäischen Wasserscheide, hat 3.577 Hektar Gemarkungsfläche und knapp 2.000 Einwohner. Nellingen ist seit 1372 im Besitz des Marktrechtes. Der Ort war früher ein reines Bauerndorf und hat sich inzwischen zum Handwerks-, Dienstleistungs- und Produktionsstandort mit ca. 450 Arbeitsplätzen entwickelt.  Nellingen verfügt über eine familienfreundliche Wohnqualität mit einer guten Infrastruktur.

Museum Nellingen

Das gegenüber stehende Museum war ebenfalls Schulgebäude. Aufgrund von steigenden Schülerzahlen 1927 erbaut, mit einem Lehrsaal und einem Gemeindesaal, einer Lehrküche der Hauswirtschaftlichen Berufsschule. Im Keller gab es mehrere öffentliche Bäder für Mitbürger ohne eigene Bademöglichkeit. Dahinter stand noch ein Wäschereigebäude, das durch die Genossenschaftsbank betrieben wurde. Seit 1975 wird das Gebäude als Heimatmuseum genutzt und zeigt vor allem das bäuerliche Leben früherer Jahre. Machen wir uns nun auf den Rückweg zur Festhalle vorbei an den Resten der ehemaligen Zehntscheuer, die aufgrund der neuen Straßenführung der Freistraße 1972 zur Hälfte abgerissen wurde, und hoffen, dass bei diesem Rundgang Altes aufgefrischt und Vergessenes wieder in Erinnerung gerufen wurde.

Ehemaliges Molkereigebäude Nellingen

Das heutige Gebäude der Volksbank steht auf dem Platz der ehemaligen Genossenschaftsmolkerei, 1903 erbaut und aufgrund der noch nicht vorhandenen Stromversorgung mittels einer Dampfmaschinenanlage betrieben, mit einem entsprechend hohen Schornstein versehen. Das Gebäude wurde 1994 abgerissen.

Unser Blick gilt nun dem markanten Backsteingebäude in unserer Ortsmitte. 1880 auf einer der fünf Hülen als Schulhaus mit zwei Klassenzimmern und zwei Lehrerwohnungen für 31.000 Mark erbaut. Ab 1967 wurde es als Rathaus genutzt. Heute befindet sich darin auch die Gemeindebücherei. Bis 1933 gab es neben dem Gebäude einen Turnplatz und einen Schulgarten.
Wir befinden uns nun in der Hirschgasse. Im Jahre 1738 gab es in Nellingen die Herberge „Zum weißen Ochsen“ und die Herberge „Zum Hirsch“. Der „Hirsch“ besaß seit 1644 die Braugerechtigkeit und übte diese über 300 Jahre aus. Auch gingen hier der Amtmann oder der Pfarrer, wenn sie hohen Besuch hatten, mit ihren Gästen zum Essen. So auch am 28. August 1899 mit König Wilhelm II. von Württemberg, der zu einem Manöverbesuch in Nellingen weilte.
St.-Erichs-Pfad Nellingen

Für unseren Rückweg können wir nun den gleichen Weg durch den Pfarrsteig wählen oder aber ein Stück auf dem alten Bahndamm (falls er gerade abgemäht ist) bis zur Oppinger zurück zur Türkheimer Straße gehen. Diese überqueren wir auf der Höhe des Gasthauses „Wilder Mann“ und biegen in den St.-Erichs-Pfad ein. Auf der linken Seite stand hier bis vor wenigen Jahren noch das Bettelhaus. Im Jahr 1690 wurde es mit einer Länge von 40 Schuh und einer Breite von 18 Schuh außerhalb der Tore des Ortes erbaut. Hier wohnte auch der „Bettelvogt“, er musste die Leute beaufsichtigen, betreuen und das Holz für den Winter machen. Ihr Lebensunterhalt finanzierte sich aus den Frühmesseinkünften. Gehen wir nun den St.-Erichs-Pfad Richtung Westen, finden wir einige neue Wohnhäuser in der sogenannten „zweiten Reihe“, meist in ehemaligen Obstgärten der Bauernhöfe gebaut.

Unser weiterer Weg führt uns nun zum ehemaligen Bahnhofsgelände. Im Zuge der Industrialisierung entstand auch auf der Alb der Wunsch nach einer Anbindung an das Eisenbahnnetz. So konnte unter finanzieller Beteiligung der umliegenden Gemeinden 1900 – 1901 die Schmalspurbahn Amstetten – Laichingen gebaut werden. Dies hatte natürlich auch weitere Auswirkungen. Neben dem Bahnhof entstand 1921 das Gebäude der Genossenschaftsmühle (früher gab es den Mühlenbann nach Ditzenbach). 1922 erbaute die Bezugs- und Absatzgenossenschaft ihr Lagerhaus. Und auch die Genossenschaftsbank erstellte später ein Lager für Kohlen- und Düngerhandel. Nellingen hatte ein vorbildliches Genossenschaftswesen entwickelt, denn es gab noch eine Molkereigenossenschaft und einen Viehversicherungsverein. Mit der Bahn kamen Düngertransporte und Kohle. Getreide, Flachs und Grubenholz wurden abtransportiert. Die Arbeiter fuhren täglich nach Laichingen, Amstetten und Geislingen zu ihren Arbeitsplätzen. Die Bahnstrecke war leider etwas schlecht gebaut, so dass der Zug ab und zu auch mal entgleiste. So am 2. Februar 1904. Der Eisenbahnzug fuhr infolge eines Schienendefekts über die Böschung ins Feld hinein. Der Lokführer wurde bewusstlos weggetragen, er erholte sich später wieder. Sonst wurde niemand verletzt. Der Personen- und Postverkehr wurde einige Tage mit Schlitten aufrechterhalten.
Ausgehdinghäusle Nellingen

Wir gehen nun die Türkheimer Straße ein Stück entlang bis zum Pfarrsteig. Dieser dürfte seinen Namen wohl von der Abkürzungsmöglichkeit für den Pfarrer, wenn er wochentags zu Fuß nach Oppingen ging, erhalten haben. Nach wenigen Metern steht auf der linken Seite ein typisches „Ausgedinghäusle“, in dem die alten Hofbesitzer nach der Übergabe an die nächste Generation ihren Lebensabend verbrachte. Hofname: “Schmidbartle“ = Schmid Bartholomäus).

Wir sind jetzt in der „Hinteren Gasse“. Hier wollen wir uns etwas mit der Bedeutung der Hofnamen befassen. Diese unterscheiden sich in der Lage der Hofstelle: Hinterbauer, Hülenbauer, Kirchenbauer, Unterbauer, Oberbauer, Gässlesbauer oder aber nach Berufen: Schuhbauer – Schmidbauer – Brunnenbauer, aber auch nach Vornamen: Marxenbauer – Karlsbauer – Mättesbauer – Andreasbauer. Bei der Einmündung der Hinteren Gasse in die Türkheimer Straße treffen wir auf die Anwesen mit dem Hofnamen Torbauer und Neubauer. Hier dürfte wohl das letzte der vier Tore der Nellinger Befestigungsanlage gestanden haben. Es wurde 1833 zum letzten Mal renoviert und später abgerissen.
Scheitergässle Nellingen

Wir überqueren die Straße an der Fußgängerampel, gehen etwas ortseinwärts, um dann nach rechts ins „Scheitergässle“ einzubiegen. Das Gebäude (Hiller) links war ehemals eine Privatmolkerei, später Kaufladen für Lebensmittel, Haushaltswaren, Öfen, Fahrräder, auch Flaschnerei, Tankstelle und Taxiunternehmen. Wir gehen weiter Richtung Osten ganz in die Hofstelle hinein, um dann am Ende in ein namenloses Gässle oder Stiegele zu kommen, das eine kurze Verbindung zum Bahnhof war, oder aber, um von dort zur Türkheimer Straße zu kommen. Man beachte die sehr gut erhaltenen Steinmauern bei den Gebäuden. Nach den großen Bränden von 1688 und 1696 war das Bauholz knapp und es wurde per Verordnung festgelegt, dass künftig alle Mauern in Steinbauweise ausgeführt sein müssen und nicht mehr, wie hergebracht, auf einem eichenen Grundbalken in einer Fachwerkbauweise. Aus dieser Zeit dürften diese Scheunen stammen.

Ehemaliges Rathaus Nellingen

Hier stand ursprünglich das erste Nellinger Rathaus. Im Jahr 1830 erbaut für den ersten frei gewählten Württemberger Schultheißen. Der Chronist schreibt: „Beim Bau mussten erst die herumliegenden Felsen gesprengt werden“. Im Gebäude war auch die Feuerwehr mit ihren Requisiten untergebracht und es gab zwei Arrestzellen. Ein Blick hinüber zum alten Forsthaus unterhalb des Gasthauses „Krone“ zeigt uns ein weiteres Gebäude, das unter Denkmalschutz steht. Es diente von ca. 1600 bis 1813 als Sitz des Ulmischen Amtmannes und als Hauptzollamt, zuständig für Nellingen, Amstetten, Aufhausen, Merklingen, Oppingen und Türkheim. Der Amtmann war der Vertreter der Ulmischen Oberherrschaft und Vorgesetzter für den örtlichen Anwalt (heute Bürgermeister). Ab 1886 war es das Königliche Württembergische Forstamt für 18 Umlandgemeinden.

Am Standort der heutigen Leichenhalle stand das erste strohgedeckte Nellinger Schulhaus, bereits 1531 erbaut, weit vor Einführung der allgemeinen Schulpflicht. 40 Schüler wurden darin unterrichtet. Im Jahr 1816 erfolgte der Umbau auf zwei Geschosse mit zwei Klassenzimmern, einer Lehrerwohnung und einem Ratszimmer. Ein Lehrer durfte maximal 100 Kinder unterrichten. Im Jahr 1843 gingen in Nellingen insgesamt 170 Schüler zur Schule. Später diente das Gebäude als Doktorhaus. Wir gehen weiter durch das „Kirchgässle“, immer an der Friedhofsmauer entlang, bis zum großen freien Platz an der Aicher Straße.
Pfarrhaus Nellingen

Links der Kirche befindet sich das im Jahre 1602 erbaute Pfarrhaus. Ihm entstammen zwei berühmt gewordene Nellinger: Leonhard Huter, 1563 geboren. Er war ein Lutherfreund, erlangte die theologische Doktorwürde und war Professor der Theologie in Wittenberg. Samuel Hebich, 1803 im hiesigen Pfarrhaus geboren, studierte im Basler Missionshaus Theologie und wurde als erster Sendbote der Basler Mission für Indien eingesegnet. Ein dritter berühmter Nellinger war Johann Albrecht von Widmanstetter (1506 – 1557). Er war Humanist, Kanzler von Österreich, Domherr zu Regensburg, Berater von Papst Clemens VII., Ehrenbürger von Rom, Sprachgenie und Übersetzer der Bibel ins Syrische, aber auch ein erklärter Gegner der Reformation.

Kirche Nellingen

Direkt vor uns steht die „Andreaskirche“ auf dem höchsten Punkt des alten Dorfkerns. Das Alter der Kirche ist nicht urkundlich belegt, in ihrer heutigen Gestalt geht sie auf das Jahr 1492 zurück. Jahreszahlen an der Südwand und an der bemalten Holzdecke belegen dies. Der 28,6 Meter hohe Turm ist der älteste Teil der Kirche. In ihm hängen vier Glocken. Die größte mit 20 Zentnern Gewicht wurde 1666 durch die Wandergießerfamilie „Die Rossier“ aus Lothringen vor Ort gegossen. Reste der Gießmulde und des Schmelzofens wurden beim Bau des Gasthauses „Engel“ (um 1900) entdeckt. Bei der Innenrenovierung der Kirche 1964 stieß man auf umfangreiche Wandbemalungen, die durch die Denkmalpflege freigelegt wurden. Für Interessierte sei hier auf das Buch von Pfarrer Koppenhöfer „Suche nach verwehten Spuren“ verwiesen.

Ochsen Nellingen

Nun geht es weiter Richtung Kirche. Beim Einbiegen in die Kirchgasse sehen wir links das sehr schön renovierte ehemalige Gasthaus „Zum Ochsen“, in dem auch bis ca. ins Jahr 1600 der Sitz des Amtsmannes war. Noch heute sind im oberen Saal reich verzierte Stuckarbeiten zu sehen.

Albwasserversorgung Nellingen

Gehen wir nun die Freistraße ortseinwärts bis zum Haus Nr. 11, überqueren die Straße und biegen an der Ostseite des Hauses in den sehr schmalen Stiegel (kleiner Pfad) Richtung Süden direkt zur Steinbosstraße ein. Halb rechts sehen wir am Brunnengässle den letzten noch erhaltenen Ventilbrunnen der am 24. Juni 1876 eröffneten Albwasserversorgung. Es war damals nicht einfach, die Albbewohner vom Segen dieser Einrichtung zu überzeugen. Gegner (die „Trockenen“) wollten nicht glauben, dass das Wasser bergauf läuft. Die Befürworter (die „Nassen“) siegten jedoch am Schluss bei der Abstimmung. Wer sich keinen eigenen Hausanschluss leisten konnte oder wollte, musste sich an solchen Ventilbrunnen sein Wasser holen. . Ein Blick in Richtung Westen zeigt uns die „Zigeunerlinde“. Hier war (bis in die 1960er Jahre) der Lagerplatz für herumziehende Sinti- und Romafamilien. Diese wurden, wenn sie ein bis zwei Wochen im Ort gelagert hatten, auf Gemeindekosten in den nächsten Ort weitertransportiert.

Festhalle Nellingen

Unser Rundgang startet an der Festhalle
    (Hier haben wir Parkmöglichkeiten).

1951/1952 wurde diese Halle als Jugendheim mit Sporthalle unter kräftiger finanzieller Unterstützung der amerikanischen Zivilverwaltung erbaut. In den 60er und 70er Jahren wurde die Halle auch von den örtlichen Vereinen für Tanzveranstaltungen genutzt (- das brachte Geld in die Vereinskasse -) und machte Nellingen im weiten Umkreis als Eldorado für Brautschau, Vergnügen und Unterhaltung bekannt.    

Direkt daneben stand der Farrenstall. 1905 als Gemeindeeinrichtung erbaut, um die Vatertierhaltung zu zentralisieren und nicht mehr einzeln in Privatställen unterzubringen. Die tägliche Wanderung der Muttertiere zum Farrenstall mit ihren entsprechenden Hinterlassenschaften machte die Freistraße zur so genannten „Mistgasse“, manchmal auch „Kuhdamm“ genannt.